Die Suche nach dem Glück im 21. Jahrhundert

Untersuchung der Aktualität Aristoteles´ Glücksbestimmung

1.     Einleitung

„Als ich 5 Jahre alt war, hat mir meine Mutter immer gesagt, dass es das Wichtigste im Leben sei, glücklich zu sein. Als ich in die Schule kam, wurde ich gefragt, was ich sein will, wenn ich groß bin. Ich schrieb  “glücklich”. Sie meinten, ich hätte den Arbeitsauftrag nicht verstanden.  Ich sagte ihnen, sie hätten das Leben nicht verstanden.” Diese Anekdote wird dem 1980 ermordeten Sänger John Lennon nachgesagt. Die Suche nach dem Glück hat aber im 21. Jahrhundert, der aktuellen Zeitrechnung, nicht an Bedeutung verloren. Überall begegnet sie uns und das im Kontext der unterschiedlichsten Themen. „Wie wird man glücklich?“ scheint die Frage schlechthin in einer Zeit zu sein, in der Religion eine immer geringere Rolle spielt. Dabei wird das Phänomen beobachtet, dass die Menschen trotz steigendem Wohlstand und verbesserten Lebensbedingungen in westlichen Industrienationen immer weniger glücklich sind und sich immer weniger glücklich fühlen. Burnout ist ein markantes Wort, welches in diesem Zusammenhang immer wieder auftritt. Menschen arbeiten sich kaputt auf der rastlosen Suche nach dem Glück. Die Depression ist eine Krankheit, welche durch die Wohlstandsgesellschaft verstärkt auftritt. Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen pilgern Menschen zu „Life Coaches“ und kaufen Glücks-Ratgeber. Glück durch Essen, durch Extremsport, durch Wohlstand, durch Liebe, durch Sex… Überall wird dem Glück hinterhergejagt.[1]

Glück scheint sogar zum obersten Ziel aller Dinge geworden zu sein. Als solches definierte schon Aristoteles Glück im ersten Buch seiner Nikomachischen Ethik. Welche Aktualität hat Aristoteles‘ Glücksdefinition in den aktuellen Diskussionen? Dieser Frage wird im vorliegenden Text nachgegangen. Dafür werden nach einer Darstellung seiner Ansichten diese mit unterschiedlichen Vorstellungen verglichen. Exemplarisch werden in diesem Text das Bhutanische Bruttosozialglück und die ökonomische Glücksforschung behandelt.

Wegen des breitgefächerten Untersuchungsfeldes werden die einzelnen Abschnitte kurz gehalten. Medizinische Erkenntnisse der Glücksforschung werden bewusst so weit wie möglich ausgeklammert, da es sich hier um einen philosophischen Diskurs handelt. Aristoteles‘ Glücksdefinition wird auf die aus dem ersten Buch der Nikomachischen Ethik beschränkt und folgt der inklusiven Interpretation. Weitere Werke werden nicht berücksichtigt.

Am Ende der Untersuchung wird sich herausstellen, dass viele Ansichten von Aristoteles immer noch aktuell sind, obwohl sich die Argumentation teilweise verändert hat. Es wird sich als schwierig erweisen, die klassische Theorie von Aristoteles mit den aktuellen Beispielen zu vergleichen, da diese eine andere Form haben. Aristoteles‘ Glücksvorstellung wird durch ihre Definition aber niemals komplett an Aktualität verlieren.

2.     Die Glücksbestimmung des Aristoteles

Aristoteles muss man stets als einen Beschreiber und nicht als Ideologen betrachten. Er versuchte, die Welt, in der er lebte, zu analysieren und die Wahrheiten, die dort versteckt sind, herauszufinden. Ihm ging es nie darum zu schreiben, wie die Welt sein sollte. Er bedauerte gewisse Zustände zwar, nahm sie aber als gegeben hin.

Das altgriechische Worte Eudaimonie wird als Glück übersetzt, dies wird in der Forschung oft als zu ungenau bezeichnet. Eine bessere Übersetzung gibt es nicht. Am ehesten passt die Bezeichnung der „gelungenen Lebensführung“. Deswegen muss man Aristoteles‘ Glück als einen umfassenden Glücksbegriff verstehen. Für ihn ist die Frage nach dem Glück mit der Frage nach dem „besten Leben“ gleichgesetzt.

Aristoteles stellte fest, dass ein großer Teil der Menschen das Glück als das Höchste aller Güter benannte, es aber unterschiedlichste Vorstellungen gab, wie dieses Glück auszusehen habe. Der im alltäglichen Gebrauch verwendete Glücksbegriff hatte oft eine andere Bedeutung als derjenige im philosophischen Diskurs. [2] Deswegen ist es wichtig zu bestimmen, über welchen Glücksbegriff gesprochen wird.

Es gibt für Aristoteles verschiedene Güter. Diese werden aus unterschiedlichsten Zielen heraus gewählt. Die einen sind Werkzeuge, um andere Ziele bzw. Güter zu erreichen, die anderen tragen ein Ziel in sich, werden also um ihrer selbst willen verfolgt. Diese Güter sind die Lust, die Ehre und das Wissen. Sie sind erstrebenswert, können aber nicht das Endziel sein, da man auch nach ihnen strebt um etwas Höheres zu erreichen. Für ihn ist unendliches Streben etwas sehr negatives und deswegen muss ein Endziel existieren: das oberste Gut. Dieses ist rein für sich erstrebenswert, wird nur  als Selbstzweck gewählt und niemals für einen anderen Zweck. Das ist das Glück. Alle anderen erstrebenswerten Güter, welche auch, aber nicht ausschließlich um ihrer selbst willen gewählt werden, führen zu diesem Glück.[3]

Das Glück ist das höchste, schönste und freudvollste Gut und vereint alles untrennbar voneinander. Zu diesem Glück gehören aber auch einige äußere Güter als Hilfsmittel. Das Fehlen bestimmter Güter führt dazu, dass man nicht mehr von Glück sprechen kann. Glück braucht also freundliche Umstände. Deswegen können nur Menschen glücklich werden, die einen mäßigen Wohlstand haben, damit sie von alltäglicher Arbeit befreit sind, die von edler Geburt sind, damit sie eine gute Erziehung und Bildung genossen haben, einen ausgeglichenen Charakter besitzen und von schweren Schicksalsschlägen verschont sind. Für Aristoteles haben nur privilegierte Menschen eine Chance auf das glückliche Leben.[4]

Die Frage nach dem Glück stellt sich nur dem Menschen, denn es ist eine mit der Vernunft verbundene Tätigkeit der Seele, welche Einfluss auf das Handeln hat. Dies folgert er aus der Vorstellung, dass das, was einem Wesen am spezifischsten ist und es am deutlichsten von anderen Wesen unterscheidet, das Beste für das Wesen ist. Die Fähigkeit der Vernunft hat ausschließlich der Mensch inne,  was ihn von den Tieren unterscheidet. Aristoteles sucht ganz bewusst nach dem besten Leben des Menschen: Nach dem Glück des Menschen.[5]

Dieses beste menschliche Leben soll deshalb einen sehr hohen Anteil von Vernunft in sich tragen. Ein Leben, das ausschließlich vernünftig geführt wird, ist weder möglich noch wünschenswert. Unter den erstrebenswerten Gütern ist zwar das Wissen das edelste, da es das Gut der Vernunft ist, aber zum Glück braucht es mehr als nur die Vernunft. Alle Güter, welche ihr Ziel in sich selbst tragen, wirken beim besten Leben mit und sind deswegen Teil des Glücks. [6]

Der Mensch, welcher als glücklich bezeichnet werden kann, muss bewusst wahrnehmen, dass er Glück „besitzt“ und dies darf kein zeitlich begrenzter Zustand sein. Ein glücklicher Mensch ist beständig glücklich.[7] Menschen haben unterschiedliche Veranlagungen, welche sie unterschiedlich weiterentwickeln können und deswegen unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum glücklichen Leben. [8] Die Arbeit an sich selbst steht dabei im Mittelpunkt. Glück ist zwar durch die Umgebung begünstigt, aber erreicht werden kann es nur durch den Ausbau unserer Tugenden. [9]

Über dem Glück des Individuums steht und fällt das der Gemeinschaft. Der Mensch ist mit seinen Mitmenschen eng verflochten und ist abhängig von diesen. Jeder Mensch hat Einfluss auf den anderen und darum ist es von Vorteil für die Gesellschaft, wenn so viele Menschen wie möglich ein glückliches und somit ein gutes Leben führen. Die höchste aller Künste ist die Staatskunst, da diese direkten Einfluss auf die Menschen hat. Ihr Ziel soll es sein, die Menschen „gut zu machen“. Deswegen brauchen Staatsmänner [10] eine Vorstellung davon, was den Menschen ausmacht, wie er aufgebaut ist und was das beste menschliche Leben ist. [11]

3.     Vergleich: Die „Neue“ Suche nach dem Glück vs. Aristoteles

In diesem Kapitel werden nacheinander die unterschiedlichen Beispiele „neuerer“ Glücksbestimmungen mit den Ansichten von Aristoteles verglichen. Jedes Beispiel wird separat beschrieben, aber schon während der Beschreibung werden die Parallelen zu Aristoteles‘ Glücksbegriff aufgezeigt.

3.1.         Bhutans Ideologie vom wahren Glück

Bhutan ist ca. 38 400 km² groß und somit ungefähr so groß wie die Schweiz. Es liegt im Himalaya zwischen Indien und China (Tibet). Die Bevölkerung, welche ca. 700 000 Menschen zählt, lebt hauptsächlich im ländlichen Gebiet, obwohl die Zahl der Stadtbewohner*innen zunimmt (ca. 35%). 65 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft und Viehzucht, das macht 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Die Regierungsform ist seit 2008 die einer konstitutionellen Monarchie mit dem Staatsoberhaupt Jigme Khesar Namgyal Wangchuck. Trotz geringer Industrialisierung wächst das Bruttosozialprodukt (BSP) jedes Jahr um ca. 5,5%.[12]

Das Land wurde erst 1907 in einer Erbmonarchie umgewandelt und hat eine überschaubare Zahl von Regenten.  Durch den überraschenden Tod des dritten Königs kam sein erst 17 jähriger Sohn Jigme Dorji Wangchuck 1972 auf den bhutanischen Thron.[13] Dieser wollte wissen, was die Menschen seines Landes sich überhaupt wünschen und reiste ein Jahr durch Bhutan. Die meisten Bewohner*innen antworteten auf seine Frage, dass sie gerne glücklich wären. Deswegen ließ der König verlauten, dass von nun an die Steigerung des Bruttosozialglücks (BSG) die Hauptaufgabe des Staates sei und dieses wichtiger wäre als das BIP. Das BSG besteht aus vier Säulen: Förderung der bhutanischen Kultur, Erhaltung der Natur, Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft und eine gute Staatsführung.[14]

Der bhutanische König entschied sich, wahrscheinlich unbewusst, im Sinne von Aristoteles. Wie dieser stellte er fest, dass die meisten Menschen nach Glück streben. Dies würde nur gelingen, wenn das Glück der gesamten Gesellschaft insgesamt steigt. Auch werden im BSG Güter benannt, die auch für sich selbst erstrebenswert sind, nämlich die vier Säulen, diese werden gewählt um das allgemeine Glück zu erreichen und sind ein Teil davon. Zwar finden sich drei der vier Säulen nicht in Aristoteles‘ Konzeption, aber die gute Staatsführung ist in beiden Vorstellungen enthalten. Jigme Dorji Wangchuck würde aus der Sicht des Aristoteles als guter Staatsmann angesehen.

2005 verkündete der König, dass Bhutan nun eine Demokratie werden soll und dankte zugunsten seines Sohnes ab, welcher die ersten freien Wahlen vorbereiten sollte. 2008 wurde der frühere enge Berater des Königs im Bereich des BSG zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Ideologie des Glücks wurde mit in das neue System übernommen. Das BSG wird als Gegenteil des weltweiten unendlichen Strebens nach immer mehr Wachstum gesehen, welches gefährlich für den Menschen, die Natur und die ganze Welt ist. Dieses Problem entsteht, weil die Menschen sich keine Gedanken über  ihre Zukunft machen.[15]

Das BSG ist sehr normativ. In ihm wird das beste Leben der Gemeinschaft sehr deutlich beschrieben. Dies fehlt in Aristoteles Glücksdefinition was daran liegt, dass es sich bei ihm um reine Theorie handelt und das BSG in Bhutan mit Leben gefüllt wird. Ein unendliches Streben wird aber in beiden als etwas Negatives angesehen.

Das Bruttosozialglück ist seit 2010 im Lehrplan bhutanischer Schulen. Die Schüler*innen werden neben den klassischen Lernfächern auch in Lebensfähigkeiten im Sinne des BSG unterrichtet. Der Grundtenor ist dabei, dass jeder Mensch etwas zum BSG beitragen und ein Problemlöser sein kann. Ob es ein glücklicher Tag wird, hängt von jedem Menschen selbst ab. Was ein Mensch in die Gesellschaft einbringt, hängt von den Fähigkeiten ab, welche er besitzt. Dies tut er in dem Glauben, dass die anderen Menschen ihre Fähigkeiten ebenso einbringen. Alle vier Jahre gibt es eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, ob das BSG gestiegen ist. Es werden acht Themenkomplexe abgefragt. Dort wird materieller und nicht materieller Besitzt gleich bewertet. Im Frühjahr 2014 wurden 55% der Befragten als sehr glücklich eingeschätzt, da sie sechs Themenkomplexe hauptsächlich positiv beantworteten. Selbst Menschen, die gerade nur das Nötigste zum Leben hatten, gaben oft an, glücklich zu sein, da alle anderen Bereiche hauptsächlich positiv bewertet wurden. Nur 11% der Bevölkerung wurden in dieser Umfrage als unglücklich eingeordnet. [16]

Wie ein Mensch glücklich werden kann, weist wieder Ähnlichkeiten mit Aristoteles‘ Theorie auf. Glücklich zu sein liegt in der Hand der Menschen selbst. Hier zeigen sich aber zum ersten Mal grundlegende Unterschiede: Im BSG kann jeder Mensch, trotz geringen materiellen Vermögens und harter Arbeit, glücklich sein und dem Gemeinwohl dienen. Für Aristoteles ist das wirklich glückliche Leben ohne Befreiung von der Arbeit nicht möglich.

In Bhutan wurde 2013 die ehemalige Opposition in die Regierungsverantwortung gewählt. Der neue Ministerpräsident will weiterhin dem BSG folgen, dieses aber noch verstärkt auf die Wirtschaft übertragen und somit ein nachhaltiges ökonomisches Wachstum fördern. Unternehmen, die im Sinne des BSG arbeiten, zeigen soziales Engagement und geben soziale Ziele an. Steuern zu zahlen wird als Dienst an der Allgemeinheit verstanden. Das Geld, das durch Export, hauptsächlich von Strom und Rohstoffen nach Indien, und dem Tourismus eingenommen wird, fließt zum großen Teil in die Bildung. Diese steht im Mittelpunkt des BSG, da man die Menschen von Bhutan zu Weltbürger*innen erziehen und auf die großen Herausforderungen der Zukunft vorbereiten möchte.[17]

Bildung ist das Fördern der Vernunft. Somit steht im bhutanischen System wie auch in der Nikomachischen Ethik als wichtigster Teil des Glücks das Wissen im Vordergrund. Wirtschaft, also das Heranschaffen von Vermögen wird in beiden Fällen als reines Werkzeug gesehen und nicht als Selbstzweck. Das Übermäßige wird in beiden Systemen als etwas sehr Destruktives und Negatives gesehen.

3.2.         Die ökonomische Glücksforschung

Die ökonomische Glücksforschung ist ein relativ junges Wissenschaftsgebiet in den Wirtschaftswissenschaften. Erst seit der Wirtschaftskrise 2007 wurde ihr verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Sie untersucht über den materiellen Wohlstands hinaus, was Menschen glücklich macht. Dabei unterscheidet sie zwischen Zufalls- und  Lebensglück: Das Zufallsglück ist der in der Alltagssprache verwende Begriff, wenn jemand einen positiven Effekt durch einen Zufall erfährt. Dies wird nicht in der ökonomischen Glücksforschung untersucht. Sie beschränkt sich allein auf das Lebensglück und dort auf das subjektive Wohlergehen. Es wird abgefragt, welche Einstellung die Menschen zu ihrem Leben haben. Dabei wird den Menschen selbst überlassen, wie sie Glück definieren. [18]

Eine einheitliche Glücksdefinition existiert in der ökonomischen Glücksforschung nicht. Es wird nur empirisch gefragt, wie sich die Menschen fühlen, jedoch nicht, was sie unter Glück verstehen. Innerhalb der ökonomischen Glücksforschung dominiert die hedonistische Definition von Glück als Lust. Der auf Aristoteles basierende eudämonistische Ansatz ist verdrängt worden. Wie man Glück versteht beeinflusst aber, wie man Glücksforschung betreibt und die Ergebnisse interpretiert.[19]

Aristoteles‘ Ansicht, dass Menschen unterschiedliche Vorstellungen von Glück haben, wird zwar geteilt, aber man entscheidet sich bewusst, dies zu nutzen und nicht durch eine eigene Definition einzuengen. Das macht es schwierig, hier einen Vergleich zu ziehen, auch da die Ergebnisse der ökonomischen Glücksforschung durch die unterschiedlichen Definitionen nicht einheitlich sind. Es gibt aber einige grundlegende Ergebnisse und Annahmen, die von den meisten anerkannt werden. Diese können mit Aristoteles‘ Vorstellungen verglichen werden.

Das Einkommen hat nur marginalen Einfluss darauf, wie glücklich ein Mensch ist. Es gibt zwar einen messbaren Unterschied zwischen den Einkommensstärksten und den Einkommensschwächsten innerhalb eines Staates, aber das allgemeine Glücksempfinden steigt nicht durch eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens. Es gibt z.B. keinen Unterschied zwischen reichen und ärmeren Ländern im Bereich der Zufriedenheit der Bevölkerung, es sei denn, das ärmere Land ist nahe der absoluten Armutsgrenze. Einkommen macht nur glücklich in der Relation zu anderen, welche weniger besitzen.[20] Mehr Einkommen führt aber nur zu mehr Konsum. Es ist eine Art Nullsummenspiel, daher macht Konsumzuwachs nicht glücklich.[21] Hingegen führt Überkonsum zur Vernachlässigung anderer Güter, hauptsächlich sozialer Beziehungen, und hat somit negative Einflüsse auf das Glück eines Menschen.[22]

Die ökonomische Glücksforschung hat empirisch bewiesen, was Aristoteles in der Antike schon beobachtet hatte. Geld hat nur solange einen positiven Einfluss auf das Glück eines Menschen, wie es ihm eine Grundsicherung gibt und ihn von Armut befreit. Ab dem Moment, in dem man nach immer mehr Reichtum strebt, stagniert nicht nur die Steigerung des Glückes, sondern kann sogar sinken, da andere Güter vernachlässigt werden. Geld bzw. Wohlstand ist daher nach Aristoteles nur ein Werkzeug zum Glück und die ökonomische Glücksforschung widerspricht hier nicht.

Viele Faktoren haben Einfluss auf das Wohlbefinden des Menschen: seine Natur und die Gesellschaft in der er lebt, z.B. die Ökonomie, die Demografie, die Politik, die Kultur und die Religion. Menschen, die sich selbst als glücklich einschätzen, sind gesund und haben Arbeit, einen gewissen materiellen Lebensstandart, Familie und Freunde.[23] Das Glücksniveau eines Menschen bleibt auf lange Sicht relativ konstant. Die Erziehung und auch die Natur eines Menschen, sowie der Charakter, haben maßgeblichen Anteil, ob und wie ein Mensch glücklich wird. Deswegen machen die oben genannten Attribute, wie Gesundheit oder Wohlstand, nur kurzfristig glücklich. Umgekehrt kann dagegen ihr Fehlen eher unglücklich machen.[24]

In den Ergebnissen der ökonomischen Glücksforschung gibt es somit weitere Güter, welche  nach Aristoteles Terminologie als Werkzeuge verstanden werden können. Sie werden gewählt um glücklich zu werden bzw. um Unglück zu vermeiden. Sie sind Grundvoraussetzungen zur Führung eines glücklichen Lebens. Auch hier werden Aristoteles` Einschätzungen durch die Untersuchungen der ökonomischen Glücksforschung bestätigt.

Die ökonomische Glücksforschung ist interdisziplinär angelegt und bezieht viele ihrer Theorien, welche sie versucht zu bestätigen oder zu widerlegen, aus der Psychologie. Eine Theorie, die sich bestätigt hat* ist, dass Intelligenz nicht unbedingt förderlich ist, um glücklich zu sein. Das hat eher mit dem Phänomen zu tun, dass Intelligenz meist mit bestimmten Erwartungen an das Leben einhergeht. Je geringer die Erwartungen an das Leben sind, desto zufriedener ist man jedoch. Intelligentere Menschen neigen dazu, strenger mit sich selbst zu sein und sich höhere Ziele zu setzen. Es wird aber nicht empfohlen, weniger Ziele, sondern eher realistische Ziele, welche einem entsprechen, zu wählen. Der Mensch wird glücklicher, wenn er das macht, was seinen Fähigkeiten entspricht und am besten dies so häufig wie möglich widerholt.[25]

Die Begriffe Intelligenz und Vernunft können zwar nicht gleichgesetzt werden, aber sie gehen in eine ähnliche Richtung. Hier zeigt sich scheinbar eine Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der ökonomischen Glücksforschung und Aristoteles. Diese löst sich auf, wenn man die unterschiedlichen Glücksdefinitionen betrachtet. Zum absoluten Lustgewinn kann die Vernunft bzw. die Intelligenz hemmende Effekte haben. Nach Aristoteles muss sie das auch. Die Einschätzung, dass der Mensch das tun soll, was ihm am spezifischsten ist und dieses so oft wie möglich, verbindet die ökonomische Glücksforschung und Aristoteles´ Glücksbestimmung.

Die Wirtschaftswissenschaftler haben das Selbstverständnis mit ihren Ergebnissen auf die Gesellschaft zu wirken und die ökonomische Glücksforschung macht dort keine Ausnahme. Sie wollen auf Individuen, auf Betriebe und besonders auf die Politik mit ihrer Forschung Einfluss haben. Da Politiker*innen auch nur Menschen sind, sind sie genau wie alle anderen daran interessiert, einen maximalen persönlichen Glücksgewinn zu erreichen. Deswegen müssen Institutionen existieren, durch welche eine Ausbeutung der Bevölkerung vermieden wird. Eine direkte Beteiligung der Menschen an der politischen Entscheidungsfindung hat den Effekt, dass Politiker*innen sich mehr an das Allgemeinwohl binden als an die eigenen Interessen. Solange es innerhalb des Systems Minderheitenschutz und wechselnde Mehrheiten gibt, steigt das allgemeine Wohlbefinden.[26]

Aristoteles ist auch hier wieder vertreten. Politiker*innen sind erst dann gut, wenn sie ihre Arbeit der Gesellschaft widmen und nicht ihren eigenen Interessen. Die Mehrheitsmeinung ist dabei nicht ausschlaggebend, sondern das, was eigentlich der gesamten Gesellschaft Vorteile bringt. Die Aufgabe der Politik ist deswegen das Ermöglichen eines glücklichen Lebens aller Menschen.

4.     Fazit

Aristoteles‘ Bestimmung des Glücks kann nur bedingt mit der bhutanischen Ideologie des Bruttosozialglücks und der ökonomischen Glücksforschung verglichen werden, da es sich bei Aristoteles‘ „Nikomachischer Ethik“ um eine Theorie, beim BSG um eine gelebte Ideologie und bei der ökonomischen Glücksforschung um ein Forschungsgebiet handelt. Allerdings finden sich in allen drei Untersuchungspunkten Gemeinsamkeiten.

Die Politik der bhutanischen Könige würde sehr wahrscheinlich von Aristoteles positiv eingeschätzt werden, da diese am Glück der gesamten Gesellschaft orientiert ist. Die Aufteilung, welche Güter dem Glück förderlich und ein Teil davon sind, hat Ähnlichkeiten mit seinen Vorstellungen. In beiden wird das unendliche Streben als etwas Negatives wahrgenommen und abgelehnt. In der Frage, wie die Menschen glücklich werden, unterscheiden sich BSG und Aristoteles, da das Glück in Bhutan nur wenig an das Materielle gebunden ist. Trotzdem stimmen die beiden Ansätze darin überein, dass der Mensch sein Glück positiv beeinflussen kann und das Vermögen reines Werkzeug zum Erreichen des Glücks ist.

Die Überschneidungen von Aristoteles und der ökonomischen Glücksforschung ähneln denen des BSG und dem Glücksbegriff der „Nikomachischen Ethik“. Das ist nachvollziehbar, weil die Ergebnisse der Glücksforschung der Ideologie des BSG nicht widersprechen und ein ähnliches Verständnis von Glück vorliegt.

Die ökonomische Glücksforschung vermeidet Glück im Vorfeld genau zu definieren. Sie fand aber heraus, dass Geld wirklich nur bedingt glücklich macht, und zwar nur solange, wie es den Menschen von Armut und Ängsten befreit. Durch ein übermäßiges Streben nach Reichtum werden Teile des Glücks vernachlässigt, so dass vollkommenes Glück nicht erreicht werden kann. Auch im Weiteren kann Aristoteles‘ Idee von Gütern als Werkzeugen, um das Glück zu erreichen, die Ergebnisse der ökonomischen Glücksforschung verständlicher machen. Sie sind mit anderen Faktoren notwendig für das Glück – hier werden Aristoteles‘ Gedanken bestätigt. Intelligenz hemmt das hedonistische Glück. Dieses Phänomen wird in der ökonomischen Forschung oft als etwas potenziell Negatives gesehen. In Aristoteles‘ Glückstheorie hingegen, in der die Lust nur einen Teil ausmacht, ist dies eine Notwendigkeit. Der Mensch wird nach seiner Theorie und den Ergebnissen der ökonomischen Glücksforschung am glücklichsten, wenn er das tut, was ihm am spezifischsten ist. Hier treffen sich die Theorie, die gelebte Ideologie und das Forschungsgebiet: Politik muss sich demnach an dem Allgemeinwohl aller Menschen ausrichten und allen ein glückliches Leben ermöglichen.  Zwar gibt es Unterschiede im Detail, das Ziel ist aber immer die Steigerung des allgemeinen Glücks.

In dieser Arbeit konnte kein vollständiger Blick über die gesamten „neuen“ Glücksdiskussionen geschaffen werden, auch nicht über die einzelnen Punkte dieser Arbeit. Das bhutanische Bruttosozialglück und die ökonomische Glücksforschung wurden nur verkürzt widergegeben. Besonders auf die Kritik an beiden konnte nicht eingegangen werden. Dies wurde bewusst weggelassen, denn es hätte den Umfang dieser Arbeit zu weit vergrößert.

Die Suche nach dem Glück ist eine sehr normative. Aristoteles hat versucht dies auszuklammern, was seine Theorie sehr anpassungsfähig macht.  Einige seiner Beobachtungen und Überlegungen in seiner Glücksbestimmung haben sich bestätigt. Die aktuelle Suche nach dem Glück ist die Suche nach einem alternativen nachhaltigen Weg anstelle des ungebremsten Wachstums, einer gemeinschaftlicheren Gesellschaft und, etwas pathetisch gesagt, einer besseren Welt. Sehr wahrscheinlich war das auch der Gedanke von John Lennon.

[1] Vgl. Anne, Backhaus; Alexander, Czogalla; Fanny, Jiménez, Glück – Die Erforschung unserer größten Sehnsucht, welt.de, 9 März 2012, http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article133414925/Glueck-Die-Erforschung-unserer-groessten-Sehnsucht.html, Zuletzt Aufgerufen am: 23.11.2014.

[2] Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik Buch I, 1095a 8-32.

[3] Vgl. NE I, 1097a24-b12.

[4] Vgl. NE I, 1099a14-1099b23.

[5] Vgl. Yves-Marius, Sagou, 2009: Die Erziehung zum Bürger bei Aristoteles und Kant, Würzburg: Königshausen & Neumann, S.57.

[6] Vgl. Christoph, Horn, 2011: „Glück bei Aristoteles“ in Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch S. 121-124,   Dieter, Thomas; Christoph, Henning; Olivia, Mitscherlich-Schönherr (Hg.), Weimar: J.B. Metzler, S.123.

[7] Vgl. NE I, 1099b23-1100b2-25.

[8] Vgl. Horn, a.a.O. S.122.

[9] Vgl. Wolfgang, Detel, 2005: Aristoteles, Leipzig: Reclam, S.90.

[10] Im antiken Griechenland partizipierten ausschließlich Männer am politischen Leben.

[11] Vgl. NE I, 1097a24-b12, 1099b23-1100a13 und 1102a13-b2.

[12] Vgl. Françoise, Pommaret, 2013: Bhutan 11. Auflage deutschsprachige Ausgabe, Bremen: Edition Temmen, S. 14-15.

[13] Vgl. Alexander, Thumfart, 2008: „Bhutan“ in Monarchien, Studienkurs Politikwissenschaft S.42-51, Gisela, Riescher; Alexander, Thumfart (Hg.), Baden-Baden: Nomos, S.44-46.

[14] Vgl. Marie-Monique, Robin; Guillaume, Martin; Marc, Duployer; Françoise, Boulègue, Bhutan: Die Ideologie vom wahren Glück, arte geie/M2R Productions, Frankreich 2014, https://www.youtube.com/watch?v=HD1KpxvQBIA, Zuletzt Aufgerufen am: 27.11.2014.

[15] Vgl. Ebd.

[16] Vgl. Robin; Martin; Duployer; Boulègue ,a.a.O.

[17] Vgl. Ebd.

[18] Vgl. Anke, Werner, Forschungsquartett | Ökonomische Glücksforschung – Was macht uns wirklich glücklich?, detektor.fm, 1 9 Juni 2012, http://detektor.fm/wirtschaft/forschungsquartett-konomische-gluecksforschung-was-macht-uns-wirklich-gluec, Zuletzt Aufgerufen am: 30.11.2014.

[19] Vgl. Luigino, Bruni, 2011: „Glück und Wirtschaft“ in Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch S. 404-411,   Dieter, Thomas; Christoph, Henning; Olivia, Mitscherlich-Schönherr (Hg.), Weimar: J.B. Metzler, S.406 & 409.

[20] Vgl. Bruni, a.a.O. S405-407.

[21] Vgl. Bruno S., Frey; Claudia, Frey Marti, 2010: Glück – Die Sicht der Ökonomen Kompaktwissen Band 13, Zürich: Riegger, S. 160.

[22] Vgl. Bruni, a.a.O. S408.

[23] Vgl. S. Frey; Frey Marti, a.a.O. S.144.

[24] Vgl. Bruni, a.a.O. 407.

[25] Vgl. S. Frey; Frey Marti, a.a.O. S.148-149.

[26] Vgl. Ebd. S. 152-153.

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